Laudatio zur Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der Deutschen Gesellschaft für Audiologie an Prof. Dr. rer. nat. Manfred R. Schroeder, GöttingenLiebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, und vor allen Dingen: Lieber Herr Professor Schroeder, es ist mir eine ganz besondere Freude und Ehre, hier heute vor Ihnen stehen zu dürfen, um im Namen der Deutschen Gesellschaft für Audiologie die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft an Herrn Prof. Dr. Manfred Robert Schroeder zu begründen, also meinen verehrten akademischen Lehrer und langjährigen Chef. Besonders freut es mich natürlich, dass Sie, lieber Herr Schroeder, auch per Telepräsenz heute persönlich anwesend sind und ich dadurch nicht in die gleiche Verlegenheit gerate wie Sie selbst vor knapp 40 Jahren auf einer Tagung der Acoustical Society of America. Dort haben Sie die Laudatio für Ihren Doktorvater, Prof. Erwin Meyer gehalten, der den William Clement Sabine-Award verliehen bekam. Was niemand wusste – und Sie auch tunlichst vorher verschwiegen haben: Prof. Meyer konnte nicht persönlich anwesend sein und hatte niemand Anderen als Sie gebeten, die Auszeichnung stellvertretend entgegen zu nehmen – was Sie auch nach Ende Ihrer Laudatio artig taten und sich für die gelungene Laudatio herzlich bedankten! Dieses besondere Talent zur publikumswirksamen Inszenierung aber auch zur verständlichen Darstellung auch komplizierter Sachverhalte ist sicher ein wesentlicher Faktor in Ihrer einzigartigen Karriere als Wissenschaftler, Manager, akademischer Lehrer und Wanderer zwischen zwei Welten auf beiden Seiten des Atlantiks. Sie studierten Mathematik und Physik in Göttingen, wo Sie am III. Physikalischen Institut der Universität unter Anleitung von Erwin Meyer 1952 promovierten. 1954 gingen Sie zu den Bell Telephone Laboratories in Murray Hill, New Jersey, USA, wo Sie innerhalb kurzer Zeit zum „Director of Acoustics and Mechanics Research“ aufstiegen und an einer Reihe von bahnbrechenden Publikationen und Erfindungen beteiligt waren, und zwar auf den Gebieten raumakustische Messverfahren, Sprachcodierung, physiologische und psychologische Akustik und Computergrafik. Beispielsweise sind Ihre Erfindungen zum künstlichen Nachhall in jedem modernen digitalen Hallgerät enthalten, oder Ihre gemeinsam mit Bishnu Atal entwickelte Methode des Linear Predictive Coding, ist in ihrer Weiterentwicklung in jedem derzeitigen Mobiltelefon zu finden. In so mancher Konzertsaaldecke an der amerikanischen Ostküste - so habe ich mir sagen lassen - steckt noch eine von Ihnen abgefeuerte Pistolenkugel – später haben Sie die raumakustischen Messungen durch die Methode der Rückwärts-Integration und die Messung mit Maximalfolgen-Rauschen deutlich angenehmer für die Zuhörer gestaltet! In der Hörforschung sind die „Schroeder-Phasen“ ein feststehender Begriff, mit denen u.a. in aktuellen Forschungsarbeiten die Funktion der Basilarmembran psychoakustisch und physiologisch untersucht wird 1969 wurden Sie zum Direktor des III. Physikalischen Instituts der Universität Göttingen berufen, dem Sie bis zu Ihrer Emeritierung 1991 vorstanden – aber immer nur für ein halbes Jahr, denn in Ihren Berufungsverhandlungen hatten Sie vereinbart, dass Sie in den Semesterferien weiter bei den Bell Labs forschen konnten – ein Rhythmus, den Sie auch heute noch weiter befolgen. Für uns Mitarbeiter hatte es den entscheidenden Vorteil, dass Sie immer die neuesten Entwicklungen und Ideen aus USA mitbrachten und auch für uns sich die Bell Labs als Sprungbrett in die USA anbot. Aber ansonsten konnten wir ungestört unsere eigenen wissenschaftlichen Neigungen und Ideen ausleben – denn der Chef war weit weg und e-mail und Videokonferenz gab es damals noch nicht! In Göttingen haben Sie in der Lehre entscheidende Akzente gesetzt und aufgrund Ihrer faszinierenden Vorlesungen viele der besten Physik-Studenten in Ihr Institut gelockt. Außerdem haben Sie die Forschung in den Gebieten Raumakustik, Sprachakustik und Hörakustik entscheidend vorangetrieben: Beispielsweise wurden die kopfbezogenen Übertragungsfunktionen 1977 erstmalig digital ausgemessen (Mehrgardt und Mellert, 1977) oder die erste volldigitale Simulation verschiedener europäischer Konzertsäle fand Mitte der siebziger Jahre im reflexionsarmen Raum des Instituts statt. Prägend war für viele Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die herzlich, kollegiale Atmosphäre im Institut mit Events vom „Piano-Smashing“ (nach dem Motto: wie passt ein Flügel durch ein Nadelöhr?) über Instituts -Rallyes bis hin zu hinreißenden Diplom- oder Doktorfeten mit legendären Auftritten der Institutsband – alles nur möglich durch einen liberalen Chef, der aufgrund seiner wissenschaftlichen Meriten soweit über den Dingen stand, dass auch ruhig etwas Chaos im Institut herrschen konnte (nicht umsonst haben Sie sich in späteren Jahren intensiv mit nichtlinearer Dynamik und Chaos-Theorie beschäftigt!). Sie haben über 100 Original-Arbeiten und 4 Bücher geschrieben, die sich einer großen Auflage und vieler Zitate erfreuen. Sie sind mit vielen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet worden, u.a. mit der Rayleigh-Medal des British Institute of Acoustics, der Goldmedaille der amerikanischen Gesellschaft für Akustik, dem Helmholtz-Preis der deutschen Gesellschaft für Akustik und dem Niedersachsen-Preis. Trotz – oder vielleicht gerade wegen – der großen Freiheiten, die Ihre ehemaligen Absolventen, Assistenten und Mitarbeiter genießen konnten, sind die meisten von ihnen in verantwortlichen Positionen in vielen Bereichen von Industrie und Universitäten „gelandet“, darunter im Vorstand von Infineon (S. Mehrgardt, K.Ebeling), Micronas (U.Sieben), in leitenden Positionen beim Umweltbundesamt (D. Gottlob) und an den Universitäten Erlangen (U. Eysholdt), San Francisco (C. Schreiner), MIT (R. Wilhelms), Eindhoven (A.Kohlrausch) und Oldenburg (V.Mellert, B.Kollmeier). Bei der Namensnennung von Dieter Gottlob möchte ich noch ein Gespräch zwischen Ihnen und Herrn Gottlob im Rahmen Ihres Oberseminars erwähnen, bei dem Sie sich über die psychophysikalische Einheit der Tonhöhe „Bark“ beschwerten, die zwar nach dem deutschen Physiker Barkhausen benannt ist, in den USA aber wegen ihrer zweideutigen Bedeutung (von wegen „to bark“) der Lächerlichkeit preisgegeben ist. Herr Gottlob erwiderte: „Herr Schroeder, das geht uns Deutschen mit dem (Dezi-) „Bel“ genauso! - (Eigentlich hätte ich bei diesem Insider-Witz bei der DGA etwas mehr Lacher erwartet – aber die nach Alexander Graham Bell benannte Intensitäts-Einheit „Bel“ ist halt viel weniger geläufig als ihr zehnter Teil, das Dezibel). Wie diese Begebenheit schon andeutet, gilt Ihr besonderes Interesse, lieber Herr Schroeder, dem Hörvorgang und der Anwendung solider physikalischer bzw. ingenieurwissenschaftlicher Methoden in der Hörakustik. So haben Sie bereits Ende der siebziger Jahre quantitative Modelle des Hörvorgangs aufgestellt und numerisch berechnet, darunter das „legendäre“ Haarzellenmodell nach Schroeder und Hall, das in Abwandlungen derzeit in fast allen aktuellen Computer-Hörmodellen enthalten ist. Unter Ihrer Institutsleitung entstand in Göttingen das Göttinger/Oldenburger „Perzeptionsmodell“ und die ersten digitalen Signalverarbeitungsverfahren für Hörgeräte in Deutschland (Lewien, Langhans, Strube, Kollmeier) – vielleicht darf ich noch anfügen, dass Ihr Interesse an Hörgeräten in den letzten Jahren (mit zunehmendem Lebensalter ) sich kontinuierlich gesteigert hat, was sich für mein (unter Ihrer Anleitung begonnenes) Arbeitsgebiet durchaus positiv auswirkte. Aufgrund der Gesamtsicht Ihrer einzigartigen wissenschaftlichen Leistungen für die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Audiologie, sehr geehrter Herr Prof. Dr. M.R. Schroeder, verleiht Ihnen die Deutschen Gesellschaft für Audiologie daher am heutigen Tage ihre Ehrenmitgliedschaft – herzlichen Glückwunsch! Würzburg, 27.März 2003 Birger Kollmeier |