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1986 entdeckte UZH-Physiker und IBM Fellow K. Alex Müller gemeinsam mit seinem Kollegen J. Georg Bednorz den ersten Hochtemperatur-Supraleiter. Ein Jahr später erhielten die beiden Forscher für ihre Entdeckung den Physik-Nobelpreis.
1986 spielte sich in Zürich ein spannendes Stück Wissenschaftsgeschichte ab. Alles begann mit einer verrückten Idee, die K. Alex Müller, damals IBM-Fellow und Professor an der Universität Zürich, von einer Sizilien-Reise mit nach Hause gebracht hatte. Am Ende stand die Entdeckung der so genannten Hochtemperatur-Supraleiter – eine Errungenschaft von enormer Tragweite. Ein Jahr später wurde Müller gemeinsam mit seinem Forscherkollegen J. Georg Bednorz für diese Entdeckung mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet.
Bereits 1911 hatte der Niederländer Kamerlingh Onnes herausgefunden, dass viele Metalle bei sehr tiefen Temperaturen um minus 270 Grad Celsius zu Supraleitern werden: Sie leiten den Strom unter diesen extremen Bedingungen ohne Widerstand. Der Traum, Strom verlustfrei über grosse Distanzen zu übertragen, liess viele Physiker nicht mehr los. Spätestens in den Siebzigerjahren geriet die Supraleiter-Forschung jedoch in eine Sackgasse. Der Umstand, dass die Leitfähigkeit sich erst bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt einstellte, liess die Aussicht auf die praktische Anwendung von Supraleitern in der Starkstromtechnik schwinden.
K. Alex Müller wollte aus dieser Sackgasse ausbrechen. Er weihte seinen ehemaligen Praktikanten und Doktoranden, den jungen deutschen Forscher J. Georg Bednorz, mit dem er seit einiger Zeit am IBM-Forschungslaboratorium in Rüschlikon zusammenarbeitete, in sein Vorhaben ein. Die beiden beschlossen, bestimmte Materialien – genauer: Lanthan-Barium-Kupfer-Oxide – auf ihre Supraleitfähigkeit hin zu untersuchen. Ausgerechnet Oxide! Diese haben unter normalen Bedingungen nur geringe Leitfähigkeit. Bisher war man wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass nur metallische Verbindungen als Supraleiter in Frage kämen. Die Vermutung Oxide könnten unter bestimmten Bedingungen supraleitend werden, hatte Müller schon früher geäussert, doch niemand nahm in ernst. «Genau das motivierte mich. Ich hatte einfach Lust gegen den Strom zu schwimmen», gab der Physiker später zu Protokoll.
Seine Hartnäckigkeit zahlte sich aus: Gemeinsam gelang K. Alex Müller und J. Georg Bednorz der Nachweis der erstaunlichen, bis heute nicht vollständig erklärbaren Tatsache, dass die Eigenschaft des Lanthan-Barium-Kupfer-Oxides, Strom schlecht zu leiten, bei sehr tiefen Temperaturen ins glatte Gegenteil umschlägt – in Supraleitfähigkeit. Doch das war noch nicht einmal das aufregendste Resultat dieser Experimente. Die eigentliche Sensation war: Die Temperatur, bei der das Kupferoxid supraleitende Fähigkeiten erhielt – die so genannte Sprungtemperatur –, lag bei erstaunlich hohen minus 238 Grad. Das überraschte auch Bednorz und Müller selbst. Sie hatten eine neue Klasse von Supraleitern entdeckt – die Hochtemperatur-Supraleiter (HTSL) und erhielten dafür 1987 den Nobelpreis.
Weltweit setzte daraufhin eine Jagd nach weiteren Temperatur-Rekorden bei supraleitenden keramischen Verbindungen ein. Mittlerweile ist man bei einer Sprungtemperatur von minus 140 Grad angelangt. Der enorme Vorteil der HTSL: zur Kühlung ist man nicht mehr auf teures flüssiges Helium angewiesen wie bei gewöhnlichen Supraleitern, sondern kann billigeren Stickstoff benutzen, der bei minus 196 Grad flüssig wird. Hochtemperatur-Supraleiter finden heute etwa bei Sensoren, Kraftwerken oder Medizinalgeräten Verwendung.
Aufgewachsen war K. Alex Müller als Sohn eines Kaufmanns und Enkel eines Schokoladefabrikanten in Lugano. Am Internat in Schiers baute er seine ersten Radiogeräte zusammen, später reparierte er zum Vergnügen Autos. Nach der Matura studierte Müller von 1946 bis 1952 an der ETH Zürich Physik. Zu seinen Lehrern gehörten berühmte Physiker wie der Quantenforscher und Nobelpreisträger Wolfgang Pauli und der Kernphysiker Paul Scherrer. Pauli habe sich bei aller methodischen Präzision immer das Gefühl für die Unwägbarkeit der Natur und der Erkenntnisprozesse erhalten, sagte K. Alex Müller einmal. Die Haltung, dass das Entscheidende in der Wissenschaft oft ganz unerwartet geschieht, hatte auch Müller verinnerlicht.
Nach seiner Promotion an der ETH 1958 wurde K. Alex Müller Projektleiter am Genfer Battelle-Institut, 1963 wechselte er zu IBM in Rüschlikon, wo er als Fellow frei und unabhängig forschen konnte. Von 1971 bis 1985 leitete er bei IBM zudem die Physikabteilung. Daneben lehrte und forschte er an der Universität Zürich. 1962 wurde Müller an der UZH zum Privatdozenten, 1970 zum Titularprofessor und schliesslich 1987 – kurz vor der Auszeichnung mit dem Nobelpreis – zum ordentlichen Professor für Festkörperphysik ernannt. 1994 wurde K. Alex Müller emeritiert. Auch nach seinem Altersrücktritt verfolgte der Physiker die Entwicklungen auf seinem Forschungsgebiet engagiert mit und unterhielt noch längere Zeit ein eigenes Büro auf dem Campus Irchel.