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Alois Haas war weit über die Grenzen des Faches hinaus als Kenner und Interpret mystischer Denk- und Texttraditionen bekannt. Als inspirierender Lehrer und Forscher hat er von 1971 bis 1999 deutsche Literatur vom Mittelalter bis zur Zeit des Barocks am Deutschen Seminar der Universität Zürich unterrichtet.
Alois Haas' Stil war geprägt nicht nur von genauer und historisch präziser Textlektüre, sondern von einem offenen Geist intellektueller Neugier, von unersättlichem Lesen, der Lust am Text und einer undogmatischen und genuin interdisziplinären Faszination für die Theologie der Mystik und ihre sprachlich-poetischen Ausdrucksformen.
Am 23. Februar 1934 im Zürcher Niederdorf als Bäckerssohn geboren, hat Alois Haas nach der Gymnasialzeit im Benediktinerkloster Engelberg in Zürich, Berlin, Paris, und München Germanistik, Philosophie und Geschichte studiert. Er wurde 1964 mit der Arbeit Parzival’s «tumbheit» bei Wolfram von Eschenbach promoviert und hat sich 1969 in Zürich habilitiert. 1969 bis 1971 hat er an der McGill University in Montreal unterrichtet; von 1971 bis 1999 war er zunächst ausserordentlicher, dann ordentlicher Professor am Deutschen Seminar der Universität Zürich. 1978 wurde Haas mit dem Dr. theol. h.c. der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg i.Ü., 2009 mit der Überreichung des Ehrendoktors der Universität Pompeu Fabra in Barcelona ausgezeichnet. Er war Fellow des Wissenschaftskollegs Berlin und erhielt 1979 und 1996 die Ehrengabe der Literaturkommission der Stadt Zürich. 2015 wurde ihm der Zeno Karl Schindler-Preis der SAAG für sein Lebenswerk verliehen. Von 1989 bis 2000 war er Präsident der Schweizerischen Paracelsus-Gesellschaft und seit 1996 Präsident der Hans Urs von Balthasar-Stiftung.
Der Titel der Habilitationsschrift «Nim din selbes war». Studien zur Lehre von der Selbsterkennnis bei Meister Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse nimmt vorweg, was die Forschung und das Denken von Alois Haas bis zu seinem Tod umgetrieben hat: die in die klassische Antike zurückreichende Topik der Selbsterkenntnis, ihre Adaptationen in der christlichen Mystik und in den Formen mystischer Erfahrung, schliesslich die damit einhergehende Problematik der Selbst- und Gotteserfahrung einerseits, ihres sprachlichen Ausdrucks andererseits. Doch war Alois Haas als Forscher, als Lehrender, als Betreuer wissenschaftlicher Arbeiten nie auf die Grenzen eines Faches festzulegen. Er war Mediävist und Frühneuzeitforscher, doch er war zunächst immer Leser und engagierter Denker, der sich mit den Texten bewegte und von dieser Bewegung inspirieren liess.
Was er pflegte, war eine Form des Lesens, des Schreibens, und der Lehre, die schon in den frühesten Publikationen als prägnante Aufmerksamkeit für sprachliche Texturen, Sprachschöpferisch-Performatives und die Rhetorik des Ausdrucks Gestalt anzunehmen begann. Es äussert sich darin eine Verbindung theologischer, literaturwissenschaftlicher und philosophischer Fragestellungen, in der, trotz der klaren Sicht auf die Chiffre des «Absoluten», die sein Werk bis zum Schluss prägen sollte, keine dieser Deutungsebenen schlechthin privilegiert wird. Im Zentrum stand vielmehr immer die Lektüre, die Textstelle, die sprachliche Verfasstheit allen Denkens und aller Erfahrung, hinter die auch Theologie und Philosophie nicht zurückzugehen vermögen.
Dieses Insistieren auf dem Text und dem präzisen Lesen war immer beeindruckend und es prägt sich unmittelbar ein, wann immer man einen Blick in eines seiner Bücher wirft. Charakteristisch dabei war auch die Leidenschaft als Büchersammler, die die Dimensionen seiner Gelehrsamkeit wie die Unbändigkeit seiner Neugier spiegelte. Sein Werk, das daraus hervorging und das immer diesem existentiellen Ethos verbunden blieb, umfasst denn auch Beiträge zur Dominikanermystik des 14. Jahrhunderts, mit denen es einsetzte, zu mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Mystikerinnen, zu Cusanus, aber auch zu Nietzsche, Valéry und Mallarmé – und zum interkulturellen Vergleich mystischer Literatur- und Artikulierungsformen.
In seinen zahlreichen Büchern, etwa Sermo mysticus, Gottleiden – Gottlieben, Mystik als Aussage, Mystische Denkbilder zeigte er dabei eindrücklich einerseits, wieviel philologische Akribie es braucht, um in jedem Fall das Umfeld der Texte, die historischen Referenzpunkte und die existentiellen Engagements bestimmen zu können, andererseits, wie diese Akribie tatsächlich Voraussetzung ist, um eine Interpretation, sei sie theologisch, literaturwissenschaftlich oder philosophisch, überhaupt erst wagen und die Innovationskraft der Texte ermessen zu können.
Dass diese, und damit die inspirierende Kraft des Lesens und der Textanalyse, das Ansteckende und zum Weiterdenken Verpflichtende immer im Vordergrund stand, hat sich vor allem auch in der Lehre geäussert. Vorlesungen, Seminare und Kolloquien waren Orte des Austauschs mit Studierenden, der Interaktion, der geteilten Begeisterung für die Texte und ihre Deutungsmöglichkeiten. Das hiess, dass viele hier ein Interesse an mittelalterlichen Texten entdeckten, dass viele sich zur mediävistischen Forschung inspirieren liessen, aber auch, dass Studierende und Schülerinnen und Schüler eine Form des engagierten Umgangs mit Texten und Traditionen des Denkens, Fühlens, und Erfahrens entdecken konnten, die ihnen unbekannt war und oft die disziplinäre Ordnung sprengte. Claudia Brinker und Niklaus Largier