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Bilanz, 1.März 2022, Interview: Iris Kuhn-Spogat und Anne-Barbara Luft
Er leitet in Zürich die gröste Universität des Landes: Michael Schaepman über den Kampf um Forschungsgelder, die Beziehung zum Nachbarn ETH und eine «Uni für alle».
Für das Herz ist die Schwerelosigkeit eine grosse Belastung. Wegen der erschwerten Blutzirkulation sollten Astronauten daher nicht zu gross sein. Für Michael Schaepman, Rektor der Universität Zürich und über 1,90 Meter gross, einer der Gründe, seinen Kindheitstraum vom Reisen im All zugunsten der Geografie an den Nagel zu hängen. In seinem grosszügigen Büro, in einer Villa unterhalb der Universität, erzählt der 55-Jährige, warum er es nie bereut hat.
Herr Schaepman, Sie wollten Astronaut werden?
Das stimmt. Aber ich habe dann relativ schnell realisiert, dass daraus nichts wird, weil ich dafür zu gross gewachsen bin.
Nun sind Sie Rektor der Universität Zürich. Was hat Sie gereizt an diesem Posten?
9000 Mitarbeitende, die überdurchschnittlich gut gebildet sind, 800 davon Professorinnen und Professoren, sind ein faszinierendes Umfeld. Wenn man Diversität der Meinungen nicht als Problem anschaut, sondern als Vorteil, ist es der spannendste Job, den man haben kann.
Was ist an x Experten mit x Meinungen spannend?
Ein Beispiel: In der Pandemie konnte man zu praktisch jedem Aspekt jemanden mit fundiertem Wissen nach seiner Einschätzung fragen. So konnten wir sehr differenziert kommunizieren.
Nützen Ihnen Ihre Erfahrungen aus der Privatwirtschaft fürs Management der Uni?
Ja, meine Kundenorientiertheit und mein Effizienzdenken nützen mir. Als Rektor muss ich unterscheiden, wo die Autonomie von Forschung und Lehre liegt und Managementerfahrung etwas bewirken kann. Im Kern geht es um die Frage, was effizienter gemeinschaftlich zu bewirtschaften ist und was nicht.
Erzählen Sie!
Die Forschung ist heute sehr spezialisiert. Wer experimentell arbeitet, braucht immer grössere Infrastrukturen, das ist teuer. Zudem lässt sich das Modell, dass beispielsweise an jedem Arbeitsplatz ein Elektronenmikroskop steht, in Zukunft nicht skalieren. Konkret: Wir müssen Schwerpunkte setzen und die Ressourcen poolen. Dafür schaffen wir Technologieplattformen. In der Mikroskopie gibt es inzwischen 30 Millionen Franken an Zuwendungen fliessen pro Jahr dank Klinkenputzen in die Kasse der Universität das Geld kommt allein der Forschung zugute. Spezialisten, die Mikroskope selber bauen, teils erweitern, teils betreiben, und Forschende können sich in Pools einschreiben und teure Mikroskope mitnutzen. Ein anderer wichtiger Aspekt zum Thema Effizienz ist, dass unsere Studierendenzahlen schneller wachsen, als wir bauen und expandieren können. Wir kommen daher um effizienzsteigemde Massnahmen in der Administration und den zentralen Diensten nicht herum.
Wie weit sind Sie damit?
Wir haben rund 80 Prozent aller Dienstleistungen auf einem sehr hohen Effizienzlevei. Jetzt nehmen wir die finanzielle Führung der Uni unter die Lupe, zudem haben wir im Bereich der Digitalisierung einiges geplant.
Klingt nach immerwährendem Seilziehen. Was bereitet Ihnen am meisten Mühe?
Einerseits Personalfälle. Die belasten mich, nicht zeitlich, aber emotional. Andererseits die Fragen: Wie treten wir gemeinschaftlich auf bei so viel dezentraler Autonomie? Wie bauen wir eine gemeinsame Zukunft auf mit so vielen verschiedenen Anspruchsgruppen? Last but not least geht es oft nicht so schnell und einfach, wie ich mir das wünsche. Ich habe hier keine klassische CEO-Funktion.
Sie lancieren «Uni für alle» – wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Wir tragen die Verantwortung für die Zukunft der Lehre. An der Uni studieren darf nur, wer die Matura hat. Aber was kann jemand mit Matura und ohne jahrelange Berufserfahrung besser als jemand ohne Matura und mit jahrelanger Berufserfahrung?
Wie haben Ihre Kollegen reagiert?
Es gab einen Aufschrei, unsere Vorlesungen sind ja bereits voll. Der Vorschlag zielt nicht darauf ab, die Dozierenden zu überfordern. Aber reden wir doch über Diversität: Die am wenigsten diverse Population ist die in den Studiengängen. Da sind alle gleich alt und gleich gesinnt. Null Diversität. Ich habe angeregt, sich einmal zu überlegen, was passiert, wenn wir uns öffnen. Wir werden nicht überflutet, wenn wir es smart angehen und zum Beispiel auch die Fachhochschulen einbinden. Ich vergleiche das mit dem SBB-Fahrplan: Die BLS fährt auf den Schienen der SBB, aber mit eigenem Fahrplan, der integriert wird.
Das Mehr an Studierenden bleibt aber ein starkes Gegenargument.
Die einen sagen, wir produzieren viel zu viele Studienabgänger. Die anderen meinen, es müssen noch viel, viel mehr sein. In den nächsten 10 bis 15 Jahren wird die Zahl der Studierenden schneller wachsen, als wir bauen und finanziell skalieren können. Wir müssen also originelle Lösungen finden.
Die Exzellenz einer Uni steht und fällt mit der Qualität und dem Renommee von Professoren, Forschern und Studenten. Ihre Asse im Kampf um die Besten?
Es gibt harte und softe Faktoren, die für die Uni Zürich sprechen, Standortvorteile zum Beispiel. Firmen wie Google siedeln sich an, schaffen Arbeitsplätze, und die Studierenden von Universität und ETH finden Anschluss an diesen Markt. Diesen Kreislauf kann ich selbst nur beschränkt beeinflussen, aber natürlich rede ich mit der Standortförderung.
Und was können Sie beeinflussen?
Qualität und Exzellenz, wobei Autonomie immer wichtiger wird. An der Universität Zürich kann man forschen, was man will. Diese Forschungsfreiheit verteidigen wir rigoros. Hoffentlich auch. Ja, es ist eigentlich das Grundprinzip der Universitäten. Doch diese Autonomie wird nicht überall in gleichem Masse erhalten und ist unter Druck. Im sehr kompetitiven Schweizer System ist nicht nur der Lohn relevant. Unsere Saläre sind immer noch sehr gut auch für Schweizer Verhältnisse. Wir überzeugen zudem mit Qualität, Exzellenz und neu auch mit unserer Kultur der Zusammenarbeit. Da sind wir sehr stark.
Welche Förderungen bieten Sie Studierenden?
Früher waren Universitäten quasi Durchlauferhitzer - man kam her, wurde ausgebildet und verschwand dann irgendwo im Arbeitsmarkt. Heute ist die Förderung der Studierenden sehr viel differenzierter. Wir fördern heute drei Linien. Die akademische, die auf Exzellenz basiert. Wir vergeben sehr viele kompetitive Forschungsgelder, damit die Doktorandinnen und Postdocs unabhängig forschen können und so stark für den globalen Wettbewerb werden. In der zweiten Linie werden die Studierenden mittels akademischer Bildung auf einen qualifizierten Job vorbereitet. Damit der Anschluss reibungslos verläuft, bieten wir Stellenvermittlungen sowie Jobmessen und sprechen mit der Industrie. Die dritte Linie ist ganz neu, das ist das Unternehmertum. Statt einer klassischen Karriere wollen viele junge Leute Unternehmerinnen und Unternehmer werden. Wir haben Fördergelder gefunden, die es ermöglichen, dass Entrepreneurship ein Teil der freiwilligen akademischen Ausbildung wird.
Und das kommt bei den Studierenden gut an?
Ja, wir stossen auf sehr viel Interesse. Es gibt einen Wettbewerb, bei dem die Besten ein sogenanntes Fellowship gewinnen können. Dank Beratung und Mentoring von externen Coaches gründen die Gewinner eine Firma.
Sind schon bekannte Start-ups darunter?
Zwar haben alle Fakultäten Zugang zu den Fellowships, aber im Life-Sciences-Bereich sind wir besonders stark. Spin-offs wie Molecular Partners oder Cutiss sind unglaubliche Erfolgsgeschichten. Sie sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Wir können heute zahlreiche Jungunternehmen unterstützen - das hat sich in den vergangenen 20 Jahren komplett verändert.
Offenbar zieht das alles nicht genug: Im Herbst lancieren Sie ein sogenanntes Exzellenzstipendium von 10'000 Franken pro Semester für Top-Masterstudierende. Wirkt schon etwas verzweifelt.
Das hat mit Verzweiflung nichts zu tun. Wir wollen neben den bestehenden Stipendien eine weitere Möglichkeit bieten, dass sich engagierte, motivierte und herausragende Studierende voll auf ihr Studium konzentrieren können.
Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Ein solches Stipendium ist nicht neu, das kennen auch andere Universitäten und ist weit verbreitet.
Wer bezahlt das?
Eine Stiftung finanziert einen Teil, der andere Teil stammt aus eigenen Mitteln.
Sie haben gesagt, Sie hätten Fördergelder gefunden. Wie, wo?
Platt gesagt mit Türklinken-Putzen. Konkret mit herausragenden Ideen, bestechenden Konzepten und Überzeugungsarbeit.
Wie viel Geld fliesst so in die Uni-Kasse?
Pro Jahr sammeln wir über 30 Millionen Franken an Zuwendungen ein. Da wir weder einen Management-Overhead noch andere Strukturen damit finanzieren müssen, fliessen diese praktisch vollumfänglich der Forschung zu, und wir achten sehr strikt darauf, dass die Forschungsfreiheit gewahrt ist.
Die Uni Zürich und die ETH haben gemeinsam die Wyss Zürich Foundation gegründet. Die Spendengelder von Hansjörg Wyss fliessen an ein Forschungscenter, das beide Hochschulen nutzen. Sind solche Kooperationen die Ausnahme?
Nein, sie sind sogar sehr typisch und wegweisend für die Zukunft. Wir kooperieren überall dort, wo die mathematische Unmöglichkeit eins plus eins drei ergibt. Wenn wir gemeinschaftlich mehr Wert erzielen, als wenn wir es beide individuell machen würden.
Sie sind mit der ETH freundschaftlich verbunden?
Wir kommen mit der ETH sehr gut aus, wir nennen es das 3C-Modell. Erstens Cooperation, wir haben mehr Vereinbarungen mit der ETH als die ETH mit der EPFL. Zweitens Competition. Es gibt Gebiete, auf denen wir uns beide möglichst gut zu positionieren versuchen. Und dann haben wir Coexistence. Wir haben uns zum Beispiel darauf geeinigt, dass die ETH keine Geografie und die Uni keine Geologie anbietet. Diese Aufteilung hat man vor mehr als 20 Jahren vorgenommen, und das funktioniert bestens. Wir profitieren vom Ruf der ETH und umgekehrt. Und das stärkt wiederum die Attraktivität des Standorts Zürich.
Für Wissenschaftler aus der Schweiz ist das wichtige Forschungsprogramm Horizon Europe blockiert. Was bedeutet das für die Universität Zürich?
Wir sind natürlich abhängig von den Drittmitteln, weil sie sehr viel wichtige unabhängige Forschung zahlen, allen voran die sogenannte zweckffeie Grundlagenforschung. Auf diesem Gebiet ist der ERC, der European Research Council, der weltweit grösste Wettbewerb um Exzellenz. Die Schweiz und die UZH haben da immer überdurchschnittlich gut abgeschnitten.
Der Schweizerische Nationalfonds springt jetzt mit Übergangsmassnahmen ein. Reicht das nicht?
Der Nationalfonds ist sehr gut, doch damit Schweizer Forschende dort Mittel bekommen, nehmen sie an einem nationalen Wettbewerb teil - und stellen sich nicht mehr der internationalen Konkurrenz. Das führt für uns zu einem Reputationsproblem. Horizon Europe ist der grösste Forschungsverbund weltweit. Es ist nur kurzfristig eine Geldfrage, die sich sogar kompensieren liesse. Das viel grössere Problem ist der Ausschluss von der wissenschaftlichen Vernetzung. Langfristig wird uns so die Innovation wegbrechen.
Anfang Februar haben europäische Wissenschaftler die Kampagne «Stick to Science» lanciert. Was versprechen Sie sich davon?
Wir wollen nicht von der Politik instrumentaHsiert werden. Die Kampagne wurde von zahlreichen namhaften Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt unterzeichnet – darunter auch viele Nobelpreisträgerinnen und -träger. Bei der Bevölkerung soll ankommen, dass wir diese Forschung dringend brauchen.
Mensa oder «Kronenhalle»?
Mensa. Die «Kronenhalle» ist perfekt, wie sie ist. Aber zu meinem Lebensstil passen zwei Besuche pro Jahr.
Auto oder Velo?
Velo, für mich ein sehr praktisches Fortbewegungsmittel.
Forschung oder Lehre?
Forschung!
«Star Wars» oder «Raumschiff Enterprise»?
«Raumschiff Enterprise» ist physikalisch besser durchdacht.
Kebab oder Fondue?
Kebab, denn ich bin Fan der persischen Küche. Meine Leibspeise ist Faloodeh, ein Dessert aus Reisnudeln mit Rosenwasser und Zitroneneis.
Zuckerberg oder Musk?
Musk, so kontrovers die Raumfahrt auch gesehen wird, Access to Space ist ein grosses Thema, und Musk hat da sehr viel bewirkt.
Transsibirische Eisenbahn oder Glacier Express?
Ich bin mit beiden gefahren, der Eindruck der Transsibirischen Eisenbahn ist nachhaltiger.
Mond oder Mars?
Keiner von beiden, sondern die Erde.