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«In der Praxis sieht alles ganz anders aus»

In der interdisziplinären Ringvorlesung «Nachhaltigkeit jetzt!» sprechen Träger:innen des Right Livelihood Awards darüber, wie sie nachhaltige Entwicklungen anstossen konnten, sei es im Bereich der Friedensförderung oder dem Erhalt der Artenvielfalt. Moderiert wird die Veranstaltung von Studierenden, die lernen wollen, wie man universitäres Wissen ins Handeln übersetzt. (UZH News, 08.03.23)

Tatkräftiger und fachübergreifender Einsatz für die Nachhaltigkeit. Von links nach rechts: Leonard Creutzburg (Nachhaltigkeitsteam), Marina Menz und Aline Steinbrecher vom Right Livelihood Zentrum der UZH sowie Jeannette Behringer und Kathrin Reimann vom Nachhaltigkeitsteam.


Nachhaltigkeit jetzt! Das Ausrufezeichen macht deutlich, dass die Zeit drängt. Und dass theoretische Debatten nicht ausreichen, um die zahlreichen globalen Herausforderungen zu lösen, die sich durch den Klimawandel, im Bereich der Menschenrechte oder aufgrund sozialer Ungleichheiten stellen. Was es für eine nachhaltige Transformation auch braucht, ist konkretes Handeln. Nur: Wie kommt man ins Handeln und trägt mit seinem Engagement zu einer nachhaltigen Entwicklung bei?

Visionäre Lösungen

Eine Antwort oder vielmehr zahlreiche Antworten liefert die interdisziplinäre Ringvorlesung «Nachhaltigkeit jetzt!», in der Preisträgerinnen und Preisträger des Right Livelihood Awards über ihr Engagement für eine nachhaltige Entwicklung sprechen. Der Preis, der auch als «Alternativer Nobelpreis» bezeichnet wird, zeichnet Personen oder Organisationen aus, die visionäre und beispielhafte Lösungen für die Ursachen globaler Probleme gefunden haben und diese auch wirkungsvoll umgesetzt haben. Zu den prämierten Personen gehören etwa die indische Aktivistin Ruth Manorama, die sich für die Rechte der Frauen in Indiens Kastensystem einsetzt, der US-Amerikaner Paul Walker, der für eine Welt ohne Chemiewaffen kämpft oder der Australische Agrarwissenschafter Tony Rinaudo, der grosse Aufforstungsprojekte durch Kleinbauern in der Sahelzone initiierte. Sie alle sprachen in den vergangenen zwei Jahren im Rahmen der Ringvorlesung «Nachhaltigkeit jetzt!» über die Herausforderungen ihres Engagements.

Nun startet die Ringvorlesung, die vom Nachhaltigkeitsteam und dem Right Livelihood Zentrum der UZH konzipiert und organisiert und über die School for Transdisciplinary Studies vermittelt wird, mit Gastbeiträgen von aktuellen Preisträger:innen wie der somalischen Menschenrechtsaktivistin Ilwad Elman ins dritte Jahr. Und wieder leiten Studierende die Podiumsdiskussionen mit Vertreter:innen aus der Forschung, Politik und Zivilgesellschaft, in der die (zum Teil vorab aufgezeichneten) Inputs der Preisträgerinnen und Preisträger reflektiert werden.  

Moderieren heisst auch übersetzen

Dass Studierende die Podiumsgespräche moderieren, ist nicht einfach ein hübsches Detail der Veranstaltung, sondern Teil eines ausgeklügelten Lehrformats. Ergänzend zu den öffentlichen Ringvorlesungen beinhaltet das Lehrformat Gefässe, in denen die Studierenden auf einer Metaebene über das Thema nachhaltiges Handeln diskutieren und aufgrund der Erfahrungen der prämierten Erfolgsfaktoren für nachhaltige Transformation identifizieren. Zudem erhalten sie eine Moderationsschulung als Vorbereitung auf ihren aussergewöhnlichen Leistungsnachweis, das Moderieren einer öffentlichen Podiumsdiskussion.

«Am Anfang des Lehrprojekts stand die Frage, wie man Bildungsformate konzipiert, um nachhaltige Entwicklungen anzustossen», sagt Aline Steinbrecher, Geschäftsführerin des Right Livelihood Zentrum der UZH, die das innovative Lehrprojekt gemeinsam mit Lorenz Hilty, dem Leiter des Nachhaltigkeitsteams entwickelt hat.  Seit dem Frühlingssemester 2022 wird die Vorlesung durch Jeannette Behringer mitgestaltet, die beim Nachhaltigkeitsteam für Nachhaltigkeit in Forschung und Lehre zuständig ist.

Auf dem Arbeitsmarkt gefragt

Als wichtige Aspekte für die Transformation von akademischem Wissen in nachhaltiges Alltagshandeln nennt Steinbrecher die inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit über Fächergrenzen und den universitären Betrieb hinaus sowie ein handlungsorientiertes Unterrichtsetting, das nicht auf den rezeptiven Wissenserwerb abzielt. «Die Studierenden lernen in der Ringvorlesung zum einen von Personen aus der Praxis, wie man als Individuum Veränderungsprozesse anstossen kann.Zum andern erwerben sie durch die Moderationserfahrung auch aktiv Kompetenzen, um solche Prozesse selbst gestalten zu können», sagt Steinbrecher.

Diese Fähigkeit zur Kooperation mit gesellschaftlichen Akteuren ist auf dem heutigen Arbeitsmarkt sehr gefragt, weshalb sich die Lehre an der UZH stärker darauf ausrichten sollte. «Die Anforderungen an Transformationsprozesse für eine nachhaltige Entwicklung haben das Konzept der transformativen Lehre hervorgebracht, in der Studierende stärker als bisher auf die Gestaltung von Veränderungsprozessen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft vorbereitet werden», erklärt Behringer.

Der Preisträger Tony Rinaudo, der grosse Aufforstungsprojekte anleitet, hat in den Augen von Behringer sehr verständlich beschrieben, was es braucht, um Veränderungsprozesse zu initiieren: «Die wichtigste Zutat ist die Augenhöhe: Man muss bereit sein, die Sprache der Betroffenen zu sprechen und sich mit ihren Perspektiven auseinanderzusetzen», fasst sie zusammen. Sich in die Perspektiven von involvierten Personen hineinzuversetzen und komplexe Zusammenhänge zu vereinfachen – das üben die Studierenden in ihrer Moderationsaufgabe. «Die Moderationskompetenz ist eine der zentralen Fähigkeiten zur transdisziplinären Zusammenarbeit, doch wird gemeinhin oft unterschätzt», sagt Behringer.

Fehler dürfen passieren

Von einer etwas stressigen, aber sehr guten Erfahrung spricht Leonie Laux, die an der UZH Erdsystemwissenschaften studierte und im Rahmen der Ringvorlesung im Frühlingssemester 2022 mit Mitstudierenden eines der Podiumsgespräche moderierte. «Anders als bei einer Prüfung weiss man bei einem Podiumsgespräch nicht wirklich, was einen erwartet. Man kann sich zwar im Voraus Fragen überlegen, doch im Gespräch muss man flexibel reagieren und die Diskussion mit Fingerspitzengefühl in die relevante Richtung lenken können», sagt Laux. Sie schätzt es generell, Dinge aus dem Gespräch heraus zu lernen und ist überzeugt, dass sie Fähigkeit zur Gesprächsleitung später in ihrem Berufsleben gebrauchen wird. Obwohl die Podien mit bekannten Persönlichkeiten besetzt waren und die Vorlesungen sich an ein öffentliches Publikum richteten, spricht Laux vom Gefühl, ihre erste Moderationserfahrung in einem geschützten Rahmen gemacht zu haben. «Die Dozentinnen vermittelten uns auch das Gefühl, dass es nicht so schlimm ist, wenn etwas schief geht bei der Moderation», so Laux.

Ökologische Perspektive

Für die Bachelorstudentin verdeutlichte die interdisziplinäre Ringvorlesung auch, dass die ökologische Perspektive, die in ihrem Studium im Zentrum steht, nicht ausreicht, um nachhaltige Entwicklungen anzustossen. «Die Erfahrungen der Preisträgerinnen und Preisträger haben mir noch einmal klarer gezeigt, dass es für ökologische Nachhaltigkeit immer auch soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit braucht», so Laux. Ein Beispiel dafür seien etwa Wohnverbote in Naturschutzgebieten, die in der Praxis weder praktikabel noch sinnvoll seien, da indigene Völker, die in solchen Gebieten leben, oft Bewahrer von Biodiversität sind. Um ganzheitliche und tragfähige Lösungen zu entwickeln ist ein transdisziplinärer Ansatz notwendig. Und nicht zuletzt war es für die Studentin auch wertvoll, einmal nicht primär mit Theorien und Konzepten zu arbeiten wie sonst im Studium. Leonie Laux sagt: «In der Theorie scheinen Ideen und Konzepte oft gut aufzugehen. Doch die Ringvorlesung zeigte, dass die Realität viel komplexer ist.»